Eine kleine Anekdote von einem meiner letzten Besuche in den öffentlichen Verkehrsmitteln unserer Landeshauptstadt:
Neulich bin ich mit der U-Bahn gefahren und habe dabei ein Buch gelesen. Die Farbe des Einband war einem jungen Mann Grund genug, mich anzusprechen, es war knallrosa. Die Unterhaltung war, irgendwie konnte man das nach den ersten zwei Worten schon erahnen, nicht lang:
Ey Alda, was geht ab du Homo, wasn dasda fürn Schwuchtelbuch ?
Um Dir das zu erklären, fehlt mir die Zeit und Dir der Verstand. Guten Tag.
Anscheinend hat es etwas gedauert, bis das schlafende Gehirn angelaufen und er seinen, durch diese linguistische Bankrotterklärung eingeläuteten, Schiffbruch verstanden hat. Etwa zehn Sekunden später wurde sich dann in die übliche Eskalation mit angebotener Gewaltbereitschaft und weiteren Beleidigungen geflüchtet. Meine Haltestelle kam, ich stand auf, um auszusteigen und nachdem der junge Mann nochmal schnell einen Blick auf Größe und Statur des Baum geworfen hat, den er da gerade anpinkeln wollte, war das Gespräch schlagartig beendet.
Prinzipiell finde ich es toll, wenn jemand sich mit mir über Bücher, oder andere Themen, unterhalten möchte. Ich lasse mich dazu auch gerne in Bus und Bahn von Fremden ansprechen, aber was erwartet so jemand denn, was er als Antwort bekommt, wenn er ein Gespräch derart beginnt ?
Von solchen Fällen, die leider auch nicht mehr die absolute Ausnahme sind, abgesehen, finde ich es wirklich erschreckend, wie wenige Menschen überhaupt noch in der Lage sind sich ordentlich zu artikulieren. Es gibt anscheinend immer weniger Menschen, die:
- sachlich bleiben
- nicht immer im Recht sein müssen
- Argumente der anderen anerkennen
- die eigene Meinung überdenken und anpassen können
- ihrer Muttersprache so bemächtigt sind, das sie sich verständlich ausdrücken können
Offensichtlich sind das Softskills, die total aus der Mode gekommen sind.
Ey Alda, was geht du <beliebiges Schimpfwort> scheint heute für viele Menschen der Ersatz für derartige Softskills zu sein. Eine neue, universelle Ansprache, die passt für Begrüßungen, Fragen, Beschwerden und alles mögliche andere, was halt gesagt werden muss. Durch die gelebte Geschlechtsneutralität bei Ihrem Einsatz, Frauen werden ja heute ebenso Alda genannt, entspricht sie dann auch gleich den neuesten Standards für Political Correctness.
Dazu kann ich nur noch sagen:
Herzlich willkommen im Land der Dichter und Denker des 21. Jahrhundert!
Was bleibt, ist nur die Streitkultur der Dummen,
anstatt Argumente, Beleidigungen rein brummen.
In schmutziger Wäsche des Gegners gewühlt,
sich ständig persönlich angegriffen gefühlt.
Benimmregeln bis zum Anschlag aufgeweicht,
außer Beleidigung und Diskreditierung kein Ziel erreicht.
Sachlichkeit und Kompromiss bleiben auf der Strecke,
Hauptsache ist, dass jede andere Meinung verrecke!